Selbstversuch Workpacking: Mein VanLife auf zwei Rädern

Ein Interview über Momente der Glückseligkeit, Video-Calls in der Bäckerei und die Forderung nach dem Ende der Autoprivilegien. 

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Fahrradheld:innen

Fahrradheld Gunnar Fehlau und sein Lastenrad
Fahrradheld Gunnar Fehlau und sein Lastenrad

Gunnar Fehlau ist Geschäftsführer des Pressedienst Fahrrad und hat im Januar 2023 Büro, Schlafzimmer und Küche in acht wasserdichte Packtaschen auf ein Lasten-E-Bike geladen. Seitdem radelt er als „Workpacker“ durch die Republik. Van-Life auf zwei Rädern: Sein 12-monatiger Selbstversuch verbindet Alltag, Arbeit und Abenteuer auf nachhaltige Weise! Grund genug, ihm den Titel JobRad®-Fahrradheld zu verleihen.

Sie machen Work’n’Travel auf dem Fahrrad und sind seit vielen Monaten mit Hausstand und Laptop auf dem Cargo-E-Bike unterwegs. Wie kamen Sie auf die Idee?

Bei mir ging gerade ein Lebensabschnitt zu Ende: Die Kinder sind zum Studium ausgezogen. Ich bin 50 Jahre alt geworden und der von mir gegründete „Pressedienst Fahrrad“ feierte das 20. Jubiläum. Ein guter Zeitpunkt, um innezuhalten und zu überlegen: Wie will ich arbeiten, wie will ich leben? Ich fahre gerne Fahrrad, und da die Pandemie gezeigt hat, dass wir von überall arbeiten können, habe ich Workpacking erfunden.

Haben Sie auch eine Workpacking-Mission?

Das gehypte Van-Life ist die scheinbar letzte Bastion des Autos. Ich habe gedacht: Das geht auch auf dem Fahrrad.  Ich wollte, dass das Abenteuer hinter Arbeit und Alltag nicht erst mit der Rente beginnt. Da kann so viel dazwischenkommen: Ich kann mein Leben verlieren, die Kohle und vielleicht auch den Traum selbst. Also wurde aus „mobileoffice“ und „Bikepacking“ mein „Workpacking“-Selbstversuch.

Das Fahrrad ist die effektivste Form menschlicher Fortbewegung
Gunnar Fehlau
Geschäftsführer, Pressedienst Fahrrad
Fahrradheld Gunnar Fehlau

Was ist genau Ihr Fahrrad-Business, das Sie während Ihrer Workpacking-Tour managen?

In meinem Redaktionsbüro arbeiten elf Leute. Wir sind als Pressedienst Fahrrad ein Scharnier zwischen der Fahrrad- und der Medienwelt und unterstützen Journalistinnen und Journalisten bei ihrer Arbeit zum Thema Fahrrad. Daneben bin ich noch Geschäftsführer der Velonauten und des bootcamp.bike, das ist ein Onboarding-Seminar für Einsteiger in die Fahrradbranche. 

Wie lief Ihr Selbstversuch bislang?

Ich bin seit über zehn Monaten unterwegs, bin knapp 11.000 Kilometer geradelt und war schon in einem Dutzend Bundesländern. Der „Proof of concept“ ist erbracht. Jetzt sitze ich frisch geduscht beim Interview. Das Vagabundieren funktioniert, aber es hat eine krasse Amplitude. Dieses Experiment ist kein Urlaub, sondern ich erledige meine Arbeit fast wie immer. Nur dass ich jetzt jeden Tag neu organisieren oder überlegen muss: Wo schlage ich mein Zelt auf? Wo finde ich gutes Internet? Es gab schon Momente, in denen ich am liebsten nach Hause gefahren wäre, den Schlüssel auf die Kommode geschmissen und gesagt hätte: Alexa, mach das Licht an und spiel AC/DC.

Aber Sie sind (noch) nicht nach Göttingen zurückgeradelt…?

Nein, weil mich mein Workpacking-Projekt erdet. Wenn ich heute bei diesem Interview im Trockenen sitze (Anmerkung der Red: im Café Kurbel auf dem JobRad®-Campus in Freiburg), drei Steckdosen in Beschlag nehmen kann, super WLAN habe und einen heißen Kaffee, dann erreiche ich einen hohen Grad der Glückseligkeit. Oder wenn ich durch einen wunderschönen einsamen Wald radle, kurz danach in einer Bäckerei sitze und eine Video-Konferenz mit 50 Leuten moderiere, fühlt sich das nach Makro-Arbeits-Abenteuer an.

Wo war der schönste Platz, an dem Sie gezeltet und gearbeitet haben?

Im Steigerwald auf einem Wildcampingplatz. Ich hatte 5G-Netz, war gut verproviantiert, das Lagerfeuer flackerte und nachdem ich eine Stunde mit meinem Bruder telefoniert hatte, habe ich nachts zwischen 23 Uhr und 1 Uhr die „Fahrradtrends 2024“ verfasst.

Die Niederländer haben irgendwann beschlossen: Wir wollen Städte nicht für Autos bauen, sondern für Menschen. Das macht Mut.
Gunnar Fehlau
Geschäftsführer, Pressedienst Fahrrad
Gunnar Fehlau im Workpacking Office

Welche Rolle spielt für Sie das Fahrrad bei einer nachhaltigen Verkehrswende?

Das Fahrrad ist die effektivste Form menschlicher Fortbewegung. Eine Verkehrswende ohne Fahrrad kann ich mir nicht vorstellen. Der E-Bike-Trend zeigt, dass sich viele Menschen eine andere Form der Mobilität wünschen. Um die umzusetzen, braucht es politischen Willen. Der beste Beweis? Amsterdam! Wenn man sich Bilder dieser Stadt aus den 1970er Jahren anschaut, sieht man: Da sah es aus wie heute in Köln oder Hamburg. Und die Fotos zeigen auch, dass das Narrativ, dass die Holländer schon immer Rad gefahren sind, nicht stimmt. Die Niederländer haben irgendwann beschlossen: Wir wollen Städte nicht für Autos bauen, sondern für Menschen. Das macht Mut.

Stellen Sie sich vor, morgen früh landet eine Fahrradfee auf Ihrer Cappuccino-Tasse. Was würden Sie sich von ihr in Sachen nachhaltige Mobilität wünschen?

Ich würde ihr sagen: Nimm die Privilegien des Autos zurück.

Was würden Sie als Erstes tun, wenn Sie Verkehrsminister wären?

Ich würde Tempolimits einführen – auf der Autobahn und im Stadtverkehr. Und ich würde kostengünstige Grundmobilität über eine App anbieten, die das Fahren mit öffentlichen Verkehrsmitteln attraktiv und niederschwellig macht.

Gratulation, Sie sind unser neuer JobRad®-Fahrradheld. Wen sollten wir als nächstes in dieser Reihe interviewen? Wer ist für Sie ein Vordenker oder eine Vordenkerin in Sachen Verkehrswende?

Heinrich Strößenreuther. Er initiierte 2015 die Initiative Volksentscheid Fahrrad in Berlin. Damit hat er das Velo von der Straße in die Politik gebracht und gezeigt, dass das Fahrrad ein wichtiges Thema ist. Seine Initiative hat viel bewirkt: Es gibt schließlich kaum eine Stadt, in der es keinen Radentscheid gibt.

JobRad® spendet für jedes Fahrradhelden-Interview 500 Euro an eine Nicht­regierungsorganisation, die sich dafür einsetzt, Menschen aufs Fahrrad zu bringen. Das Geld für dieses Interview geht auf Wunsch unseres Fahrradhelden Gunnar Fehlau an „World Bicycle Relief“.